Biografie

Kamala Sohonie: Indiens erste Biochemikerin und Wegbereiterin für Frauen

Kamala Sohonie war eine der bedeutendsten Biochemikerinnen Indiens und gilt als Wegbereiterin für Frauen in den Naturwissenschaften. Sie wurde am 18. Juni 1911 in Indore, Madhya Pradesh, geboren und starb am 28. Juni 1998 in Neu-Delhi. Sie war die erste indische Frau, die einen Doktortitel (PhD) in einer naturwissenschaftlichen Disziplin erhielt – ein Erfolg, der in der damaligen Zeit als revolutionär galt. Ihr Lebensweg steht für Mut, Ausdauer und den unerschütterlichen Glauben an die Gleichberechtigung in der Wissenschaft.

Frühes Leben und Ausbildung

Kamala Sohonie, geborene Kamala Bhagvat, wuchs in einer Familie auf, die stark von Wissenschaft und Forschung geprägt war. Sowohl ihr Vater als auch ihr Onkel waren Chemiker und Alumni des renommierten Indian Institute of Science (IISc) in Bangalore. Diese familiäre Prägung förderte ihr Interesse an Naturwissenschaften schon in jungen Jahren.

1933 schloss sie ihr Studium an der Universität Bombay mit einem Bachelor of Science in Chemie und Physik ab – und zwar als Jahrgangsbeste. Danach bewarb sie sich am Indian Institute of Science für eine Forschungsstelle. Der damalige Institutsleiter und Nobelpreisträger C. V. Raman lehnte sie zunächst ab, da er Frauen als ungeeignet für wissenschaftliche Forschung betrachtete. Doch Kamala gab nicht auf. Ihr entschlossener Protest führte dazu, dass sie schließlich zugelassen wurde – jedoch nur „auf Probe“ und unter der Bedingung, dass sie ihre Fähigkeiten erst beweisen müsse.


Der Weg zur Wissenschaftlerin

Trotz dieser Hürden zeigte Kamala Sohonie außergewöhnliche Fähigkeiten. Am IISc arbeitete sie unter der Leitung von Professor S. R. Srinivasayya und erforschte den Eiweißgehalt in Milchprodukten, Hülsenfrüchten und anderen pflanzlichen Nahrungsmitteln. Ihre Arbeit bewies, dass sie nicht nur kompetent, sondern auch innovativ war. Ihre herausragenden Ergebnisse führten dazu, dass Frauen ab dem folgenden Jahr offiziell am IISc zugelassen wurden – ein direkter Erfolg ihrer Beharrlichkeit.

1937 erhielt sie ein Stipendium für das Newnham College der University of Cambridge in England. Dort arbeitete sie mit dem bekannten Biochemiker Robin Hill und forschte an Pflanzengeweben, insbesondere an Kartoffeln. In dieser Zeit entdeckte sie das Enzym Cytochrom c, das eine Schlüsselrolle im Energiehaushalt von Zellen spielt. Diese Entdeckung war von großer wissenschaftlicher Bedeutung, da sie half, die Prozesse der Zellatmung und Energieübertragung besser zu verstehen.

Ihre Dissertation verfasste sie in nur 14 Monaten – eine bemerkenswerte Leistung für diese Zeit. 1939 kehrte sie als promovierte Wissenschaftlerin nach Indien zurück, fest entschlossen, ihre Forschung zum Wohle der Gesellschaft einzusetzen.

Forschung und Entdeckungen

Nach ihrer Rückkehr nach Indien wurde Kamala Sohonie Professorin und Leiterin der Biochemieabteilung am Lady Hardinge Medical College in Neu-Delhi. Später arbeitete sie am Nutrition Research Laboratory in Coonoor als stellvertretende Direktorin und schließlich am Royal Institute of Science in Bombay (heute Mumbai).

Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit lag auf der Ernährungsforschung. Sie untersuchte die Nährwerte von Lebensmitteln, die vor allem von ärmeren Bevölkerungsschichten in Indien konsumiert wurden – insbesondere Hülsenfrüchte, Reis und Palmprodukte. Ihr Ziel war es, wissenschaftliche Erkenntnisse zu nutzen, um die Ernährungssituation der indischen Bevölkerung zu verbessern.

Eine ihrer wichtigsten Entdeckungen war die Erforschung des Palmennektars „Neera“. Auf Anregung des damaligen indischen Präsidenten Rajendra Prasad analysierte sie diese lokal verfügbare Nahrungsquelle und stellte fest, dass sie reich an Vitamin A, Vitamin C und Eisen ist. Zudem wies sie nach, dass diese wertvollen Nährstoffe auch nach der Verarbeitung zu Palmzucker oder Melasse erhalten bleiben. Ihre Forschung zeigte, dass Neera ein preiswertes und nahrhaftes Getränk für unterernährte Kinder und schwangere Frauen sein konnte. Für diese Arbeit erhielt sie den angesehenen Rashtrapati Award.

Kampf um Gleichberechtigung

Kamala Sohonie war nicht nur eine brillante Forscherin, sondern auch eine Kämpferin für die Rechte von Frauen in der Wissenschaft. Ihre Aufnahme am IISc war ein historischer Wendepunkt: Sie war die erste Frau, die dort Forschung betreiben durfte – und das unter strengen Auflagen. Doch ihr Erfolg führte dazu, dass sich die Institution öffnete und bald weitere Frauen aufgenommen wurden.

In einem späteren Interview sagte Kamala Sohonie:

„Obwohl Raman ein großer Wissenschaftler war, war er sehr engstirnig. Ich werde niemals vergessen, wie er mich behandelte, nur weil ich eine Frau war.“

Diese Worte zeigen, wie schwer es für sie war, in einer männlich dominierten Wissenschaftswelt Anerkennung zu finden. Dennoch blieb sie standhaft und wurde schließlich ein Symbol für Gleichberechtigung und wissenschaftliche Integrität.

Späte Jahre und Vermächtnis

In den folgenden Jahren widmete sich Kamala Sohonie verstärkt der Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse für die öffentliche Gesundheit. Sie leitete zahlreiche Projekte zur Verbesserung der Ernährung in Indien und setzte sich für die Förderung von Frauen in der Forschung ein. Ihre Arbeit hatte nachhaltigen Einfluss auf die Ernährungswissenschaft, insbesondere in der Prävention von Mangelernährung.

In den 1980er Jahren war sie Präsidentin der Consumer Guidance Society of India, wo sie sich für den Verbraucherschutz und die Qualität von Lebensmitteln einsetzte. Sie blieb bis ins hohe Alter wissenschaftlich aktiv und engagiert.

Kamala Sohonie verstarb 1998 im Alter von 87 Jahren. Ihr Lebenswerk lebt jedoch fort – in den Errungenschaften indischer Wissenschaftlerinnen, in der verbesserten Ernährungslage vieler Menschen und in der Anerkennung, die Frauen heute in der Forschung erfahren. Im Jahr 2023 wurde sie anlässlich ihres 112. Geburtstags mit einem Google Doodle geehrt, das weltweit auf ihre Bedeutung aufmerksam machte.

Fazit

Kamala Sohonie war weit mehr als eine Wissenschaftlerin – sie war eine Pionierin, Rebellin und Vorbildfigur. Ihre Karriere steht für den Mut, Barrieren zu durchbrechen, und für den Glauben an die Kraft der Wissenschaft, gesellschaftliche Probleme zu lösen. Ihre Forschung zur Ernährung, ihre Entdeckung von Cytochrom c und ihr Einsatz für Gleichberechtigung machen sie zu einer der einflussreichsten Persönlichkeiten Indiens im 20. Jahrhundert.

Ihre Geschichte zeigt, dass wissenschaftliche Exzellenz nicht vom Geschlecht abhängt, sondern von Leidenschaft, Entschlossenheit und Neugier. Kamala Sohonie hat der Welt nicht nur Wissen hinterlassen, sondern auch Inspiration – ein Vermächtnis, das bis heute fortbesteht.

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